28.01.2015 – dieser Text erschien auch in der 2015er Ausgabe des "EXAR" Periodikums der Gesellschaft für
Expermentalarchäologie, als Transskript meines Vortrags vor eben der Gesellschaft 2014
Nur Wachsmalerei ist hohe Kunst
Unter den Gedichten Anakreons ist eines, worin er einem Maler Anweisungen gibt, wie das Portrait der Geliebten anzufertigen sei: mit Wachs, selbstverständlich, und mit höchster Realitätsnähe:
„duften“ sollen die Haare. Das Gedicht reiht sich ein in eine ganze Reihe von Zitaten und Redewendungen antiker Autoren über „Wachs“, die nahelegen, dass nur diese Technik als „hohe Kunst“
angesehen wurde. „In Wachs gemalt“ steht als Inbegriff handwerklicher Kunstfertigkeit und Raffinesse da – ähnlich dem heute leicht verstaubten, Mitte des 20. Jhs. gebräuchlichen „wie in Öl
gemalt“ als beschreibendes Beispiel für ein vollendetes Arrangement.
Wachsmalerei (Enkaustik) und Ei-Öl-Malerei (Tempera) waren die weitestverbreiteten Maltechniken der Antike, was Tafelmalerei (Malen auf Holztafeln) anbelangt. Die billigere und anspruchslosere
Tempera-Technik brachte es in der Antike nicht einmal zu einem eigenen Namen (Plinius und Eraclius reden nur von „Auftrag mit Ei“), wohingegen es ein Fachbegriff aus der Enkaustik noch im
heutigen Sprachgebrauch auftaucht: „inuere“, „einbrennen“ (figurativ, z. B. ins Gedächtnis).
Natürlich gibt es auch andere Techniken, die „Einbrennen“ verwenden, Plinius d. Ä. hebt aber wörtlich auf diesen Begriff ab.
Ausgangssituation
Heute versteht man unter Enkaustik ein relativ einfaches Verfahren, bei dem buntes heißes Wachs mit elektrisch beheizten Werkzeugen aufgetragen wird, dabei wird die Dicke des Farbauftrags für die
überwiegend abstrakten oder expressionistischen Bilder in Kauf genommen und sogar angestrebt.
Die wichtigsten Forschungen zur antiken Maltechnik wurden Anfang des letzten Jahrhunderts von Schmid und Berger angestellt; erst vor kurzem wurde wieder verstärkt Grundlagenforschung zu dem Thema
betrieben (Gallagher, Cuní, Vandenabeele). Das Problem der eindeutigen Identifikation der Enkaustik-Malwerkzeuge erschwert die Forschung nicht unbeträchtlich: wie soll man etwas als Werkzeug
identifizieren, wenn man nicht weiß, wie der Arbeitsablauf vonstatten ging? Es ist kaum wahrscheinlich, dass eine so weit verbreitete Sparte wie die der Kunstmalerei die minimale Menge Funde
zurückließ, die eindeutig zuzuordnen ist. Vieles bewegt sich in der Interpretation als „Schminkutensilien“ oder „Medizintechnik“, was der Malerei zugeordnet werden kann.
Die Suche nach harten Fakten in den textlichen Quellen ist schwierig, erste Anlaufstelle für alle antiken Dinge, die „Wissen“ betreffen, ist natürlich Plinius der Ältere. Er widmete der Malerei
immerhin ein ganzes Buch seiner Naturgeschichte: darin liegt sein Hauptaugenmerk auf Tafelbildern, in geringerem Maße auch Fresken (z. B. Amulius, der Neros Domus Aura ausmalte und dem das Haus
„Grab seiner Kunst“ wurde – einer der wenigen Fälle, in denen ein Fund einem literarisch belegten Schöpfer zugeordnet werden konnte).
Viele handwerkliche Tricks waren Berufsgeheimnisse, sogar zwischen den Werkstätten. Was Plinius beschreibt, ist also limitiert durch das, was ihm berichtet wurde: die Mischungsbestandteile der
Wachsfarbe, der ökonomische Wert der Pigmente (ein Faktor, den die Living History-Gemeinde heute immer noch nicht so recht versteht) und die Namen spezieller Instrumente zum Wachsfarbauftrag:
Cestrum und Thermistra. Ach ja, und das „punische Wachs“ (es handelt sich definitiv um eine Politurpaste und keinesfalls um einen Firnis).
Meine eigenen Versuche
Was ich im Versuch, die antike Technik nachzuschöpfen, unternahm, basierte auf Plinius, den Forschungsergebnissen Bergers und dem Umstand, dass der „Sarkophag von der Kertsch“ in der Eremitage
St. Petersburg eine Malsituation zeigt, die eindeutig einen Maler darstellt, der ein Malinstrument über einem Feuer erhitzt, während hinter ihm ein setzkastenförmiger Kasten aufgeklappt ist (Abb.
1).
Diese eindeutigen Beschreibungen und Darstellungen diktieren relativ einfache Bedingungen für das Experiment: wenn es nicht gelingt, mit den mit diesen Inhaltsstoffen nachgeschaffenen Farben in
dieser Pose malen zu können, ist das Experiment nicht gelungen. Da sie auf diese Bedingungen nicht eingehen, sind einige der Lösungsvorschläge von Berger, Schmid und Gallagher – und auch die
einiger anderer Darsteller römischer Maler – ausgeschlossen.
Die ersten Versuche betrafen das Mischungsverhältnis des Bindemittels aus Wachs, Harz und Leinöl. Das Harz musste flüssig sein, dazu habe ich Dammar (ein Baumharz) zerstoßen und in Terpentinöl
aufgelöst. Ich habe fünf verschiedene Mischungsverhältnisse angesetzt, aber schon das erste – je ein Drittel Gewichtsanteil – hat sich so selbstverständlich als das beste erwiesen (Abb. 2). Die
Ähnlichkeit zur gleichen Mischung bei Temperafarben ist so profiliert wie mit Ockams Rasiermesser geschnitzt.
Die Erzielung von Farbtönen weist auf eine grundlegend von der Tempera verschiedene Herangehensweise hin: die relativ klaren lokalen Farben der Mumienportraits legen nahe, dass in der Enkaustik
nicht gemischt wird: reine Farben werden nebeneinander aufgetragen. Diese wird durch die vielen Töpfe des Heddernheimer Malergrabs unterstützt – und den Kasten, der auf dem Sarkophag von der
Kertsch im Hintergrund steht. Außerdem ist es nicht möglich, die Farben so lange flüssig zu halten, dass sie sich tatsächlich mischen lassen. Ich habe mir auch einen Farbkasten à la Kertsch
hergestellt und ihn mit Farben gefüllt (Abb. 3).
Die Pigmente wurden von dem Malmedium gut aufgenommen, mit verschiedenen Abstufungen der Einfüllmenge: Umbra benötigte eine Menge, Ocker sehr wenig Pigment, um eine dünn deckende Farbe zu
erzeugen (Berger gab an, bei seinen Experimenten den Pigmenten unterschiedliche Mengen Öl, Wachs oder Harz zugegeben zu haben).
Das eigentliche Handwerk
Der Auftrag der Farben mit den nicht dafür geschaffenen, aber am „nächsten liegenden“ Ölmalspateln ist schwierig und unangenehm, da der Spatel dabei „gekippt“ werden muss: entweder wird der ganze
Spatel gedreht und die Farbe aufgestrichen oder die flüssige Farbe muss vom fast senkrecht gestellten Spatel herunterlaufen.
Beide Handhabungen geben relativ wenig Kontrolle über die Menge, die aufgetragen werden kann, es sei denn, man hat schon genau so viel Farbe aufgenommen, wie aufgetragen werden soll – ein überaus
anstrengendes und schwieriges Verfahren (Abb. 4). In dieser Situation fiel mein Blick auf die Löffelsonden des „Malergrabs“ von St. Medard-des-Pres, welche Berger als die besten
Auftraginstrumente rühmt. Damit zu arbeiten ist der nächste Schritt meiner Annäherung.
Mein „Malen“ besteht im Auftragen, Verstreichen und Wegkratzen überschüssiger Farbe. Ist der erwünschte Effekt (halbwegs) erzielt, trage ich auch gerne mal etwas zu dick aufgetragene Farbe
vorsichtig mit dem Spatel ab (Abb. 5). Die Farbe lässt sich auch ein Vierteljahr nach der Herstellung gut aus dem Farbkasten aufnehmen, aufwärmen und verarbeiten, sie stockt innerhalb weniger
Sekunden, lässt sich mit einem warmen Spatel formen und härtet innerhalb von drei Wochen vollkommen aus, wobei sie natürlich weiterhin empfindlich gegenüber Kratzern bleibt. Nichtsdestotrotz geht
die Berührungsempfindlichkeit, die bei Wachs besteht, verloren; die aufgetragene Farbe verharzt und wird solide. Das findet unter Lufteinwirkung statt, Sonne ist nicht notwendig.
Natürlich lässt sich die Farbe in der Wärme besser verarbeiten als in der Kälte, ich halte es aber nicht für angemessen zu behaupten, Wachsmalerei habe nur in den klimatisch wärmeren
Mittelmeerregionen stattfinden können.
Es ist eindeutig klar, dass diese „Feinmalerei“ nicht zu vergleichen ist mit den Schiffsanstrichen, von denen Plinius berichtet; das bezieht sich gleichermaßen auf die Kosten, die Härtungsdauer
und die Verarbeitungstechnik (Plinius schreibt von „Pinselanstrich“ und „Bottichen mit heißer Farbe“, aus der neuen Perspektive kann man das offensichtlich im Gegensatz zur Kunstmaltechnik
sehen). Es ist schade, dass bei den zahlreichen Rekonstruktionen antiker Flusskampfschiffe dieser Aspekt stets zugunsten moderner Holzfirnisse geopfert wurde.
Eigentlich wollte ich ja mit dem Zitat von Anakreon „...und wenn es Dein Wachs vermöchte / male sie von Salbe duftend“ nur eine griffige Überschrift für meinen Vortrag auf der EXAR-Tagung Anfang
Oktober 2014 finden. Dann kam eine Überlegung: kann ich Duftöle in die Wachsfarbe mischen und die samtschwarzen Haare von Anakreons Geliebter wirklich „von Salbe duften“ lassen? Ich habe es
ausprobiert, ein Schwarz angemischt, bei dem ich die Hälfte des Leinöls durch Rosenöl ersetzt habe.
Es hat funktioniert, das Bild (Abb. 6) – angefertigt am 12. September 2014 – duftete in der ersten Woche intensiv, mittlerweile nur noch zart nach Rosenöl. Das ist fast so kitschig wie die
Schnulzen Anakreons, aber nicht von der Hand zu weisen.
Bild 1: Ausschnitt aus dem Malersarkophag von der Kertsch, Eremitage
Museum St. Petersburg (Wikimedia Commons, http://bit.ly/1A5jOlM)
Bild 2: Abwiegen der Zutaten Wachs, gelöstes Harz und Leinöl, rechts:
Testmischungen
Bild 3: Mein Farbkasten mit 16 lokalen Farben aus der Mumienportraitmalerei
Bild 4: Auftrag der Farbe mit dem Spatel
Bild 5: Test – ein Schiffsauge
Bild 6: Das duftende Bildnis von „Anakreons Geliebter“
Bildnachweis 1. Sailko (https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Sailko), alle anderen
vom Autoren.
Quellen
Plinius, 1881: Naturalis Historia, Leipzig; Übersetzung von Prof. G. C. Wittstein
Vitruv, 1908: De architectura libri decem, Berlin; Übersetzung von Dr. Franz Reber
Eraclius, 1873: De artis et coloribus romanorum, Wien; Übersetzung von Albert Ilg
Berger, E 1904: Die Maltechnik des Altertums, München
Schmid, H 1926: Enkaustik und Fresko, München
Wehlte, K 1967: Werkstoffe und Techniken der Malerei, Freiburg
Lovos, L 1988: Die Technik der Malerei, Hanau
Ling, R 1991: Roman Painting, Cambridge
Vandenabeele, P 1999: Analysis with micro-Raman
spectroscopy of natural organic binding media and varnishes used in art, in: Analytica Chimica Acta
Gallagher, K 2012: Encaustic history, technique, and curation, Raleigh
Cuní, J et al., 2012: Characterization of the binding medium used in Roman encaustic paintings on wall and
wood, in: Analytical Methods, Royal Society of Chemistry