Ach, Kunst


26.08.2009

 

Wer bislang glaubte, das Dilemma bei der Historiendarstellung ginge nur um Authentizität, Darstellungsvermögen und Didaktik, irrt. Es ist ja nicht so, als ob die Leute ins Museum oder aufs Museum kämen, um ihren Horizont zu erweitern, um sich etwas interessantes anzusehen oder auch um zu lernen – in erster Linie wollen sie unterhalten werden.
Wollen sie oder sollen sie? Nehmen wir mal an, sie wollen. Das schiebt den aktiven Part der Belustigung den Darstellungsgruppen zu. Ihre Darstellung muss so unterhaltsam – aber auch lehrreich – sein, wie es gerade eben geht, ohne die Messlatte der Authentizität zu zerbrechen (ein bisschen biegen darf sie sich). Man darf z. B. als Handwerker nicht einfach nur rumsitzen und handwerken, man muss den Leuten erklären, was man tut – sonst fühlen sich Erziehungsberechtigte und Halbgebildete bemüßigt, in diese Rolle zu springen, und man hat seine liebe Mühe den gut gemeinten Unsinn wieder aus den Köpfen zu kriegen. Mittlerweile hat sich das ganz gut durchgesetzt; wenn irgendwo stumme Fische vor sich hin bosseln, ist meistens ein redender Fisch dabei, der dem staunenden Publikum die ganze Chose vermittelt.

Soll das Publikum unterhalten werden? Gut, dann engagiert man Gruppen mit besonderem Unterhaltungswert, oder macht bestimmte Aktionen. Immer wieder gern gesehen ist die Modenschau, die den Stolz des Historiendarstellers auch bei maximalem Maulfaulsein befriedigt. Auh gut ist die militärische Übung – meistens schreit dabei nur der, der es sonst auch immer tut (mit dem großen Büschel auf dem Helm) und den man auch sonst kaum still kriegt. Prunk und Pracht der Ausrüstung verbinden sich mit der Choreografie des Drills zu einem scheppernden, funkelnden Gerassel von nicht abzustreitender Pracht. Wer größere Kanonen auffahren will, kann bei militärischen Events durchaus größere Kanonen auffahren, bei Adoleszierenden und adoleszent Gebliebenen hat kaum etwas größere Faszination als schwer bewegliches Mordgerät.

Und dann gibt es noch die Königsdisziplin, die Darstellung von Historientheater. man nennt sie Königsdisziplin, weil die Darsteller dann gerne Könige darstellen – die Lager füllen sich mit Lincolns, Drususse tummeln sich zu Pferd und zu Fuß, Gruppen von Napoleons spazieren zwischen den Zelten, meistens begleitet von der ein oder anderen Mary Todd oder Josephine. Das Anziehen großer Kleider ist ein Menschheitsbedürfnis; auch in die Irrenanstalt wird man nicht als anonymer Bäckergeselle aus dem 18. Jahrhundert eingeliefert, man muss sich schon für jemand besonderes halten. Aber in der Regel der Fälle klappt auch diese Königsdisziplin der Historiendarstellung dann am besten, wenn man eine Stufe runter schaltet: der Druck, den großen Max markieren zu müssen, bringt manches kleine Mäxchen zum Platzen. Und dabei schaut man nur ungern zu.

In der Regel ist also die kleine Szene die erfolgreiche: gespräch unter Freunden, ein Handel auf dem Markt, eine Musterung im Aushebungsbüro, eine Verhaftung, ein Gerichtsverfahren, eine religiöse Handlung. Rein theoretisch kann man da nichts falsch machen, solange man den Ball flach und die bekannten Standards – Authentizität, Darstellung, Didaktik – hoch hält.

Doch, man kann etwas falsch machen. Man kann Kunst versuchen. Und mit der ist es so eine Sache wie mit dem Napoleon: den überzeugend darzustellen hat selbst Napoleon selber kaum geschafft. Wie anders ein Schauspieler, der sich nur ansatzweise mit dem Thema beschäftigt, der heute als Neanderthaler, morgen als Stauffenberg, übermorgen als Hadrian auftreten muss? Die Kostüme sind aus dem Theaterfundus. Die Geschichte ist entlang irgendwelcher hastig zusammengeklöppelter Daten gestrickt. Die Theatralik theatralisch, denn wenn eines den Künstler vor dem Abdriften in die absolute Lächerlichkeit bewahrt, dann ist es die Aura der "Großen Kunst" –– eine Aura, die etwa so kunstvoll gewoben und blickdicht ist wie des Kaisers neue Kleider.

Nichts gegen Kunst, sie macht viel Arbeit und sie ist dabei viel preisgünstiger als Leute, die sich mit dem Thema wirklich auskennen. Aber genau wie ein Menu nicht auf einem einzigen Teller serviert wird – Suppe, Vorspeise, Hauptgericht, Dessert, Mocca – sollte man Kunst den "Sicherheitsabstand" geben, den sie braucht. Und den man um alles wahren sollte, was Gefahr läuft, mit großem Knall zu platzen.


Ahmlich, nachahmlich, unnachahmlich

24.07.2009

 

 

Die Schönheit von Kunstwerken vergangener Epochen liegt zu einem nicht unbeträchtlichen Teil darin, dass diese Epochen vorbei sind. In ihren eigenen Zeiten haben diese Kunstwerke einen Aspekt, den sie heute nicht haben – den der Aktualität. Aktualität ist nicht nur ein Ruhen im Augenblick des Jetzt, es ist auch ein Blick in die Zukunft – das Kunstwerk besticht dadurch, dass es zum Zeitpunkt seiner Vollendung das jeweils modernste, aktuellste, zeitgemäßeste ist, das der jeweilig Schaffende hervorbringen konnte: Verfeinerung (auch "Pflege" genannt) traditioneller Stile gehört immer dazu. Anfangs des 20. Jhs. wurde es Tradition, neue Stile zu erfinden, heute ist es Stil, in dieser Hinsicht personengebunden zu operieren.

Wo die Stilelemente vergangener Zeiten außerhalb ihres sinnhaften oder funktionalen Kontexts verwendet werden, spricht man von Eklektizismus oder "Retro" – das führt zu gotischen Bahnhofshallen und Handtaschen mit Piratentätowierungen als Dekor. Seit der Misere des 19. Jhs., in dem die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umbrüche unter einem bröseligen Putz aus künstlerischen Rückberufungen auf antike, romanische und gotische Epochen versteckt werden sollten, können diese Stile – heute geschaffen – nur noch als ironische Imitationen gesehen werden. In der Tat ist es "keine Kunst" mehr, in handwerklicher Perfektion tolle lebensechte Bilder zu malen; die Produktion bestimmter Farben (wegen denen Maler wie Tizian oder Rubens eine eigene Berühmtheit errangen) wird heute in industrieller Perfektion von Firmen wie Schmincke oder Caran d'Ache übernommen, vom Ausstoß fotorealistischer Bilder nach Quadratmetern leben ganze Städte in China.

Manche Aspekte vergangener Stile gehen unter, weil die Produktionsbedingungen sich einfach geändert haben – die oben genannten Farben, die früher in mühevoller Arbeit nach Geheimrezeptur angefertigt wurden, sind ein Beispiel, ein anderes ist z. B. die Vollendung des Kölner Doms unter Verwendung von Stahlträgerbauweise, die dem gotischen "Überbau" zugrunde liegt. Wir können mit moderner Technik jedes beliebige antike Bauwerk und Kunstwerk kopieren – die Walhalla in Regensburg ist vielleicht das letzte "ernst gemeinte" Exemplar – weshalb ein respektabler und wichtiger Bestandteil moderner Forschung sich mit der Reproduktion historischer Werke mittels historischer Techniken befasst.

Kopieren, kopieren. Das geht relativ einfach. Ob man nun mit Schieblehre und Augenmaß an einem Marmorblock meisselnd oder mittels 3-D-Scanner und Computerfräse eine Kopie der Kolossalstatue des Constantin vom Kapitol in Rom herstellt ist unter Aspekten des Stils, wie man so sagt, "wumpe"; Constantin ist Constantin. Aber stilistisch wäre es z. B. auch möglich, eine solche Statue von Angela Merkel zu schaffen: wir kennen die Kleidung, die Physiognomien, die stilistischen Merkmale, die notwendig wären, ein solches Abbild zu erzielen. Warum klappt das nicht?

Zum einen versucht das niemand, Gott sei Dank.

Zum anderen fehlen nicht die Proportionen, sondern die Zwischentöne zwischen den Proportionen, der tägliche Umgang mit ihnen. Ein Neurotiker wie Viollet-le-Duc konnte sein ganzes Leben lang mit begeistertem Eifer die Baukunst der Gotik studieren, das Stundenbuch des Herzogs von Berry, die wenigen erhaltenen Bauwerke – die Rekonstruktionen von seiner Hand nehmen sich heute käsig, kitschig, übertrieben aus. Die vergangenen Stile sind uns fremd wie tote Sprachen, auch wenn sie uns näher und greifbarer scheinen. Die Versuche, Neues mit altem Aussehen zu schaffen, lassen Neues einfließen, durch neue Bildsymboliken, durch neue Bedeutungen, die sich über alte Bilder gelegt haben. Andere, alte Konnotationen sind durch die Patina dieser neuen Inhalte nicht mehr erkennbar – wir stehen vor den Rekonstruktionen z. B. in der Ausstellung "Bunte Götter" und begreifen nur, wie wenig wir eigentlich verstehen können.

Und trotzdem versuchen wir es, denn zum verstehen gehört das Bildermachen. Wir können gar nicht anders. Rekonstruktion lässt nichts altes wiederauferstehen, Rekonstruktion träumt einen Traum.

Aber man könnte sich die Mühe machen, diesen Traum etwas gewissenhafter zu träumen. Einer dieser Träume schippert gerade auf den Flüssen des ehemaligen Germania Inferior herum. Das kleine Flusskriegsschiff "Victoria", als Rekonstruktion des faktischen Befunds schmucklos wie ein Knie, trägt eine viel zu aufgedonnerte Statue am Heck, dafür aber keine Standarte; sie trägt einen geschnitzten Namen am Bug, dafür aber nicht das Schiffsauge; sie ist am Bug stromlinienförmig wie ein Porsche und trotzdem ragen die Steven vorn und hinten hervor wie Fremdkörper, ohne den eleganten Schwung und die Überleitung in die Beplankung, die man auf den vielen Fresken und Reliefs römischer Schiffe (übrigens auch kleiner Schiffe) sieht. Manche Leute träumen halt gar nicht.

 

 

Skizze aus meinem Notizbuch
Skizze aus meinem Notizbuch

Zumindest ein paar Augen hätte man ihr gönnen können. Der Widerspruch zwischen der "nüchternen" Rekonstruktion und dem Authentizitätsanspruch ist ein Widerspruch des künstlerischen Gewissens, traue ich mich, so zu gestalten wie vor 1900 Jahren? Die Ingenieure und Baumeister haben sich getraut, die Künstler nicht.

 

Vielleicht wurden sie aber auch gar nicht gefragt.